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Hoffnungsbrief Nr. 62

Eingang: 04.06.2021, Veröffentlicht: 04.06.2021

Hoffnungsbrief Nr. 62
Liebe Gemeinde!

Weinbergschnecken haben in meinem Garten Narrenfreiheit. Das kann man wirklich nicht von allen Schneckensorten sagen. Nacktschnecken zum Beispiel leben gefährlich in meiner Nähe. Ich habe das Gefühl, dass es in diesem Jahr unglaublich viele davon gibt. Einige Kürbispflanzen haben die nächtlichen Attacken dieser Spezies nicht überlebt, und die Radieschen sehen auch schon ganz ramponiert aus. Wenn ich jetzt eine Nacktschnecke auf frischer Tat ertappe, mache ich kurzen Prozess mit ihr - auch wenn ich dabei ein schlechtes Gewissen habe. Den Weinbergschnecken dagegen lasse ich alles durchgehen - nicht nur, weil sie unter Naturschutz stehen. Allerhöchstens werden sie in einen anderen Teil des Gartens umgesiedelt, wenn ich sie auf einer Gemüsepflanze oder einer besonders geliebten Blume erwische. Aber meistens freue ich mich einfach, dass ich sie in aller Ruhe beobachten kann.

So eine Weinbergschnecke bewegt sich -im wahrsten Sinne des Wortes- im Schneckentempo. Dabei scheint sie durchaus zielstrebig zu sein; nur dass ich in der Regel nicht in der Lage bin, ihr Ziel zu erkennen. Nichts kann sie aus der Ruhe bringen oder zur Eile antreiben. Sie kriecht einfach gemächlich ihre Bahn und knabbert hier und dort wie zufällig an einem Blatt oder einer Blüte. Und wenn Unbill droht, zieht sie sich einfach in ihr Schneckenhaus zurück und wartet, bis die Gefahr vorüber ist. Sogar eine gute Figur macht sie noch dabei: majestätisch sieht sie aus, mit ihrem kunstvollen Gehäuse und dem langen, beweglichen oberen Fühlerpaar.

Diese Unbeirrbarkeit und die sanfte Ruhe der Weinbergschnecke beeindrucken mich. Wenn ich sie so beobachte, wird mir bewusst, wie rastlos ich selbst bin. “Der Weg ist das Ziel” ist definitiv kein Sprichwort, das ich so einfach unterschreiben könnte. Für mich ist das Ziel das Ziel und der Weg dahin Mittel zum Zweck. Und wenn das eine Ziel erreicht ist, habe ich meist schon das nächste im Visier - oder gar mehrere. Ich finde es schwer, da locker zu lassen, auch wenn ich es gerne können würde: einfach leben, im Hier und Jetzt. Aber es gibt immer so viel zu tun, im Beruf, im Ehrenamt und auch Zuhause. So viele Erwartungen, die mir entgegengebracht werden - und so viel, was ich selbst von mir erwarte. Wenn ich da nicht dran bleibe und voraus denke und plane und sorge, tue und mache, dann geht garantiert irgendwas daneben.

Im Matthäusevangelium heißt es: “Sorgt euch also nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen.” (Math. 6,34). Auch in anderen Religionen wird das sinngemäß so gelehrt, nur in anderen Worten. Das finde ich spannend, denn es müsste ja nicht extra betont werden, wenn es den Menschen leicht fallen würde so zu leben. Wenn ich da nochmal an die Weinbergschnecke denke - Schnecken haben genau genommen kein Gehirn. Vielleicht fällt es ihnen deshalb leichter, den Moment zu genießen. Zu viel Denken ist da offensichtlich hinderlich. Ich glaube allerdings nicht, dass das Matthäusevangelium uns dazu auffordern will, das Denken ganz einzustellen. Und das Sorgen sein zu lassen heißt auch nicht, die Hände in den Schoß zu legen und gar nichts mehr zu tun. Es heißt: das, was ich tue, nicht unter Druck, sondern voller Vertrauen zu tun, dass am Ende alles gut wird. Dann kann man auch das Tun so genießen wie das Nicht—Tun. Heutzutage sind manche Menschen ja so unter Dauerstress, dass sie selbst beim Nichts tun nicht mehr entspannen können - und das tut am Ende Keinem gut.

Im Moment freuen wir uns über all die Lockerungen, die die abebbenden Infektionszahlen uns bescheren, und die warmen Sonnenstrahlen tun ein Übriges. Vielleicht ist das ein guter Moment, um sich auch sonst mal ein bissl locker zu machen und das Sorgen sein zu lassen - im Vertrauen auf Gott, der sich um uns sorgt. In der Nacktschneckenfrage wird mir das sicherlich nicht gelingen - aber dafür hoffentlich in anderen Lebensbereichen!

Herzlichst, Ihre Zwischenzeitpastorin
Anne-Christin Ladwig
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